Der K(r)ampf ums geistliche Leben

Hausarbeit von Sinja Springer (SWS Studentin 2016/17) im Fach „Geistliches Leben“
„Geistliches Leben“ – Was löst dieser Begriff bei dir aus?
Bei mir wird direkt eine Lawine von Schuldgefühlen, Enttäuschungen und Erinnerungen an erfolglose Bemühungen losgetreten. Ich denke an Pflichten, auf die ich keine Lust habe, Schubladen, in die ich mich nicht zwängen kann und Übungen, die nicht in meinen Alltag zu integrieren sind. Falls dir das auch bekannt vorkommt, dann lade ich dich ein, dieser Sache mit mir zusammen auf den Grund zu gehen.

Für mich bestand mein „geistliches Leben“ aus speziellen Praktiken, die ich absolvieren sollte, um Gott näher zu kommen und mehr zu verstehen. Ich hoffte, sie wie eine Zauberformel anwenden zu können: Wenn ich genug in der Bibel lese, werde ich Gott mehr begreifen. Wenn ich genug bete, werde ich Gott näher sein. Wenn ich genug singe, wird Gott diese Bemühungen mehr wertschätzen und wohlwollender zu mir sein.

Ich kann überhaupt nicht behaupten, dass mein Bibellesen, Beten und Singen nichts bewirkt hätte. In den Phasen, in denen ich das regelmäßig machte, ging es mir besser, mein Leben schien einfacher zu gelingen1 und näher an Gott fühlte ich mich auch. Umso größer war dann die Enttäuschung über mich selber, wenn meine Augen zu schwer waren um sie zu öffnen und die Bettdecke einfach zu kuschelig um aufzustehen 2. Oder ich beim Beten auf dem Sofa wieder einschlummerte. Oder ich nicht täglich in der Bibel las. Oder nicht genug Lobpreis machte.

Eigentlich bestanden meine Bemühungen als Christ darin, mein „geistliches Leben“ irgendwie am laufen zu halten – oder mich bei Gott zu entschuldigen, wenn es mir nicht gelang. Ich bin mit diesem Leben nicht zufrieden. Ich sehne mich danach ein volles, erfülltes Leben zur Ehre Gottes zu führen und Jesus immer ähnlicher zu werden. Wenn Jesus sagt: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“3, wieso scheint es dann eine Ansammlung von Rückschlägen und Plackerei zu sein?

Wie ist dein Gott?

Bevor wir darüber reden, wie denn „geistliches Leben“ stattdessen aussehen könnte, möchte ich mit dir darüber nachdenken, warum wir uns bis jetzt so abgemüht haben. Warum denken wir, wir müssten bestimmte Praktiken oder Übungen leisten? Warum fühlen wir uns wie Versager, wenn wir nicht unsere regelmäßige „Stille Zeit“ einhalten können? Warum glauben wir, dass Gott dann von uns enttäuscht ist? Die Frage auf die es am Ende hinausläuft ist: Wie ist dein Gott?

Das steht doch in der Bibel, wirst du jetzt sagen. Gott ist Liebe4, Gott ist Licht5, Gott ist gut6, Gott ist vergebend, gnädig, barmherzig, geduldig, gütig,…7
Ich glaube, dass Gott so ist. Oder glaube ich nur, dass ich das glaube, denn es steht ja in der Bibel, also muss es ja wahr sein?

Eine Zeit lang hab ich Gott sehr viele Fragen für mein Leben gestellt. Ich wollte hören, was Er dazu sagt und was Sein Wille für mich ist. Ich saß, lag, kniete also vor Gott und alles, was ich hörte war: „NEIN“ Ausnahmsweise war ich ausdauernd und fragte Gott immer wieder verschiedene Dinge. Und es hat nicht lange gedauert, bis ich davon ausging ein „Nein“ zu hören. Mein Gott wurde ein Gott, der „Nein“ sagt. Ich las in der Bibel von seiner Güte und sang am Sonntag von seiner Liebe, aber in meinem Herzen sagte Gott „Nein“ zu meinen Plänen, meinen Wünschen, meinen Ideen, zu mir.8

Vielleicht hat Gott wirklich zu der einen Sache „Nein“ gesagt, vielleicht nicht. Ich kann es im Nachhinein nicht mehr sagen. Aber es hat Monate gedauert die Lüge zu entdecken, die sich in meine Gedanken geschlichen hatte: „Gott liebt dich nicht, wie du bist. Er findet nicht gut was du tust. Er erwartet etwas Anderes von dir. Du bist für Gott nicht gut genug.“

Von Zeit zu Zeit ist es grundlegend sich zu fragen: Wie ist mein Gott? Glaube ich in meinem Herzen an einen guten Gott?

Ein geistliches Leben

Menschen sind Ordnungstiere. Wir kategorisieren alles – auch unser Leben. Es gibt das „Berufsleben“, das „Familienleben“, das „Gemeindeleben“ und irgendwo dann vielleicht das „Geistliche Leben“. Dieses „Leben“ findet in den 20 Minuten vor der Arbeit, oder vor dem Schlafengehen, oder in der Mittagspause statt. Ich liebe folgenden Vergleich von John Ortberg: „Von Zeit zu Zeit versuchen sie vielleicht, ihr ‚geistliches Leben auf die Reihe zu bringen‘, indem sie regelmäßiger beten oder versuchen, eine andere geistliche Übung zu beherrschen. Das ist das religiöse Pendant zu einer Diät oder dem Versuch, ein bestimmtes Haushalts- Budget einzuhalten.“9 Aber „geistliches Leben“ ist kein einzelnes Stück vom Kuchen des Lebens.

Eine wunderschöne Definition von geistlichem Leben ist die von John Westerhoff: „The spiritual life, as I understand it, is ordinary, everyday life lived in an ever-deepening and loving relationship to God and therefore to one’s true or healthy self, all people, and the whole of creation“10

Westerhoff sagt, das gewöhnliche, tägliche Leben ist geistliches Leben. Heißt das, dass ich den ganzen Tag Bibellesen und beten muss? Nein!11
In unserem Leben soll die Liebe zu Gott (und so zu uns selbst), den Menschen und der Welt wachsen, dann leben wir ein geistliches Leben. Dann bleibt es nicht ein kleines Kuchenstück, sondern wird dieser lecker knackige, krümelige Mürbeteigboden unter der süßen, klebrigen Käsemasse, bei dem die Menschen schmecken: der gibt dem Kuchen Substanz und macht ihn richtig gut.

Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht

Müssen wir also gar keine „geistlichen Übungen“ praktizieren? John Ortberg beantwortet die Frage so: „Geistliche Übungen wie Bibel lesen oder beten, sind wichtig, nicht weil sie beweisen, wie geistlich wir sind, sondern weil Gott sie gebrauchen kann, um uns ins Leben zu führen.“12
Wir können tiefere Erkenntnisse bei diesen Übungen gewinnen, aber sie sind kein Barometer für die Qualität unseres geistlichen Lebens. Denn das Ziel über allem ist das Liebesgebot Jesu: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“13

Welche „Übungen“ uns diesem Ziel näher bringen, ist sehr individuell: „Viele von uns haben den Eindruck, dass nur etwas als geistliche Übung zählt, was wir lieber nicht tun würden. Wenn wir für ein Leben trainieren, das durch Freude, Frieden und Zuneigung gekennzeichnet ist, dann sollten wir aber davon ausgehen, dass uns einige der Übungen geradezu Spaß machen werden.“14

Was wir erfahren, können wir weitergeben. Wobei empfindest du Freude? Angenommen sein? Trost? Vergebung? Liebe? Tanke dich damit voll und dann überlege: wie kannst du dieses, was dem Wesen Gottes entspricht, weitergeben?

„Eine geistliche Übung ist eine Aktivität, durch die ich die Kraft gewinne, so zu leben, wie es Jesus gelehrt und vorgelebt hat“15


Anmerkungen, Quellenangaben:

1  Oder ich reagierte auf Widrigkeiten einfach gelassener.
2  Ich bin der festen Überzeugung, dass es wissenschaftlich nachweisbar ist, dass die Bettdecke morgens weicher und bequemer ist als abends!
3  Matthäus 11,30 Luther 2017
4 1.Johannes 4,16: Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat: Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
5  1. Johannes 1,5: Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis.
6  Markus 10,18: Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als der eine Gott.7  Nehemia 9,17b: Aber du bist ein Gott, der vergibt, gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte und verließest sie nicht.8  Ich denke, dass gerade bei Menschen, die christlich aufgewachsen sind oft ein starker Unterschied zwischen „Kopf“- und„Herzwissen“ existiert. Es ist der Unterschied zwischen Wissen und Fühlen, zwischen Hören und Glauben zwischen Tun-wollenund Tun.9  John Ortberg Das Leben, nach dem du dich sehnst, Projektion J Buch- und Musikverlage GmbH, Dillerberg, S.1710  JohnWesterhoffSpiritualLife–TheFoundationforPreachingandTeaching,WestminsterJohnKnoxPress1994,S.1
11  Es ist ganz bestimmt nichts dagegen einzuwenden, den gesamten Tag in Kommunikation mit Gott zu stehen! Ich beziehe michauf ein krampfhaftes Beten um Gott zufriedenzustellen.
12  JohnOrtberg,S.45
13  Lukas10,27
14  JohnOrtberg,S.52
15  JohnOrtberg,S.55